Christliche Heilkunde
Einleitung zu den Kasseler Thesen: Christian Care und Christlich integrative Heilkunde
„Die christliche Kirche hat eine besondere Aufgabe auf dem Gebiet des Heilens. Das bedeutet, dass Einsichten in das Wesen von Heilung gegeben sind, die nur in Verbindung mit dem Glauben an Christus zu gewinnen sind. Die Kirche kann sich ihrer Verantwortung auf dem Gebiet des Heilens nicht entledigen, indem sie diese anderen Organisationen überträgt.“
So formulierte mit weltweiter Perspektive der Ökumenische Rat der Kirchen 1966. In einem dynamisch sich entwickelnden Gesundheitswesen und einer sich verändernden Situation der Kirchen in unserem Land stellt sich die Frage, was dies heute bedeuten kann. In diesem Kontext wurden 2020 beim 7. Christlichen Gesundheitskongress die Kasseler Thesen „Christian Care und Christlich integrative Heilkunde“ vorgestellt, diskutiert und anschließend im Tagungsband veröffentlicht.
Sie zeigen einen weiten Horizont christlichen Engagements für kranke Menschen auf in Gesundheitswesen wie Kirchengemeinden und eröffnen zahlreiche Fragen der praktischen Umsetzung.
(Entnommen der Einleitung zum Seminar: Was ist christlich in Caring und Heilkunde? Die Kasseler Thesen „Christian Care und Christlich intergrative Heilkunde“ in Dialog und Weiterentwicklung, 8. Christlicher Gesundheitskongress, Jan. 2022)
Die Kasseler Thesen: Christian Care und Christlich integrative Heilkunde
1. Grundverständnis
Christian Care – Christlich integrative Heilkunde (CIH) unterstützt auf dem Boden des christlichen Menschen- und Weltbildes eine umfassende Lebensentfaltung in Bezug auf Vorsorge, Beschwerdelinderung und ganzheitliche Heilungsprozesse.
Sie integriert dabei die körperliche, psychische, soziale und spirituelle Dimension des Menschen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen.
Hierbei wirken Pflege, Medizin, Therapie, psychosoziale Hilfen und geistlich-seelsorgerliche Angebote zusammen. Der Vernetzung von Christen in den vielfältigen Gesundheitsberufen mit Mitarbeitern in pastoral-seelsorgerlichen und gemeindlich-heilenden Diensten kommt somit große Bedeutung zu.
In unserer Arbeit stehen uns grundsätzlich alle Möglichkeiten der aktuellen Heilkunde zur Verfügung, sofern sie mit dem christlichen Menschenbild vereinbar sind. Wir halten hierbei insbesondere den Einbezug von Spiritualität im Sinne einer umfassenden Gesundheitsfürsorge für notwendig und bringen sie aus christlicher Sicht ein.
2. Gottes Handeln
Alles heilende Handeln geht vom dreieinigen Gott aus.
Er teilt mit uns in Jesus das Menschsein einschließlich Leiden und Tod und geht mit uns einen heilenden und befreienden Weg.
Die kreative Schöpferkraft Gottes kann im Wirken des Heiligen Geistes erfahren werden.
Gottes Handeln geschieht auch durch menschliches Handeln. Christen schaffen Freiräume, um Gottes Wirken erfahrbar werden zu lassen.
3. Mensch
Der Mensch ist ein von Gott geliebtes Geschöpft. Hierin gründet sein unveränderlicher Wert, der ihm auch durch schwere Krankheit oder Behinderung nicht genommen werden kann. Der Mensch entfaltet sein Leben in vier Beziehungsdimensionen: zu Gott, sich selbst, den Mitmenschen und der ganzen Schöpfung.
Der Mensch kennt Begrenztheit, Leid, Schmerz, Trennung von Gott, Krankheit und Sterben. Darin sucht er Perspektiven, Heilung und Versöhnung. Er ist herausgefordert, Antworten zu geben auf existentielle Fragen.
Zum Menschsein gehören die biologische, psychische, soziale und spirituelle Dimension. Gesundheit, Krankheit und Heilung betreffen direkt oder indirekt alle Dimensionen. Heilungserfahrung kann plötzlich oder prozesshaft, durch Mittel der modernen Medizin und durch Gottes Heilungswirken geschehen. Dabei stellt der eigene Lebenswandel einen wichtigen Faktor in der Prävention dar.
Auch bei ausbleibender Heilung und angesichts des Todes können tröstende und stärkende Begleitung heilsame Erfahrungen sein. Hier werden tragfähige Antworten auf existentielle Fragen als besonders bedeutsam erlebt. Umfassende Versöhnungsprozesse
und die Perspektive des ewigen Heils gehören zu Kernprozessen eines seelisch-geistlichen Heilungsweges des Menschen.
4. Reich Gottes und christliche Gemeinde
CIH ist im Kontext des Reiches Gottes zu verstehen, dient zur Ehre Gottes und zum Wohl seiner ganzen Schöpfung. Zentral ist dabei ein Heilungs- und Versöhnungsprozess in der Begegnung mit dem dreieinigen Gott, der alle Dimensionen des Menschseins und alle seine Beziehungen umfasst.
Christliche Gemeinden sind von Gott beauftragt und befähigt, sich fachlich und als christliche Gemeinschaft konfessionsverbindend am Heilungs- und Versöhnungswirken Gottes zu beteiligen und Räume zu schaffen, in denen Menschen Begleitung, Trost und Heilung erfahren.
5. Welt – Gesundheitssystem und Gesellschaft
Christen in unterschiedlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen und in gemeindlichen heilenden Diensten bringen sich vernetzend in eine CIH und integrativ in Gesundheitswesen, Gesellschaft und Kirche ein. Hierbei haben fachliche Qualität, persönlicher Glaube und gottgeschenkte Gaben in gleicher Weise Bedeutung.
Eine CIH ist wissenschaftlich wie gesellschaftlich diskursfähig und stellt sich ethischen, ökonomischen, politischen und sonstigen aktuellen gesellschaftlichen und weltweiten Herausforderungen.
Eine CIH ist kultur- und religionssensibel mit einer weltweiten Perspektive. Sie greift die gegenwärtig verstärkte Betonung der Bedeutung von Spiritualität und spiritual care auf und bringt christliche Spiritualität in Gesundheitswesen und Gesellschaft ein.
CIH baut auf und lernt aus der Geschichte des christlichen Engagements für Gesundheit, Heilung und Versöhnung. Aktuell besteht ein Kairos für die zeitgemäße Formulierung einer CIH angesichts der zunehmenden Akzeptanz des kulturellen, spirituellen und religiösen Hintergrundes im Verständnis von Heilung und Begleitung. In diesem Sinn will CIH auch heute positiv die Gesellschaft prägen.
6. Kompetenzen
CIH bringt sich mit fachlichen, spirituellen und persönlichen Kompetenzen ein.
Dabei entsprechen die fachlichen Kompetenzen den beruflichen Standards und werden durch Fort- und Weiterbildung sowie Forschung optimiert.
Spirituelle Kompetenzen beziehen sich auf die persönliche Glaubenspraxis, ein christliches Verständnis von Gesundheit, Krankheit und Heilung, die Verbindung zur christlichen Gemeinde vor Ort und zu einem Netzwerk christlicher Ökumene. Hierzu gehören auch die Fähigkeit zum interreligiösen Dialog und zur Integration von Glaube und Wissenschaft. CIH möchte Patienten in ihrer christlichen Glaubensfindung und -praxis unterstützen. Gleichzeitig bringt sie im Sinne von spirituell care anderen Glaubensüberzeugungen hohe Sensibilität und Respekt entgegen.
Spezifisch christliche Beiträge können besonders im Kontext von christlicher Gemeinde sein: Gebet zum dreieinigen Gott, Vergebung, Beichte, Taufe, Abendmahl, Kranken- und Segnungsgottesdienste, Besuchs- und Fürbittedienste für Kranke, Krankensalbung,
Seelsorgedienst, hörendes Gebet, Hilfe bei okkulten Belastungen und in Werte- und Sinnkrisen, tragfähige Gemeinschaft (Selbsthilfegruppen, Hauskreise, spezifische Zielgruppen, praktische Hilfe etc.) u.a.m.
Persönliche Kompetenzen umfassen u.a. eine gesunde Selbstfürsorge, Team- und Kommunikationsfähigkeit, Kritik- und Lernfähigkeit.
7. Vision und Einladung
In der CIH wollen wir mitwirken, dass Menschen an Körper, Seele, Geist und in ihren Beziehungen zu Gott, sich selbst, ihren Mitmenschen und der Schöpfung heil werden. Wir arbeiten fachlich kompetent und christlich engagiert im Vertrauen auf Gottes Wirken und zu seiner Ehre.
Wir fördern Wege einer christozentrischen Spiritualität und bringen diese kultur- und religionssensibel in Gesundheitsthemen unserer Gesellschaft ein. Hierbei sind wir uns auch der weltweiten Verantwortung bewusst.
Wir laden Christinnen und Christen in Gesundheitswesen und Gemeinden unterschiedlicher Konfessionen ein, den Prozess der Reflektion, Umsetzung und Weiterentwicklung einer CIH mit zu gestalten.